Die Grundlage

Die Grundlage für die Waldorfpädagogik bildet die Anthroposophie, die um die Jahrhundertwende von Rudolf Steiner entwickelt wurde. Die Erkenntnisse dieser Geisteswissenschaft haben sich in der Gestaltung praktischer Lebensbereiche wie Schulen, Kindergärten, Landwirtschaft, Medizin, Architektur und anderer ausgedrückt. Die Anthroposophie beschreibt den untrennbaren Zusammenhang von geistigem Wirken und dessen Ausdruck im Materiell-Physischen, in der Welt.

In jedem Menschen steht uns ein individuelles Wesen gegenüber, das eine Einheit aus körperlicher, seelischer und geistiger Substanz bildet. Es hat sich in dieser Welt mit einer bestimmten Intention, die es aus dem vorgeburtlichen, geistigen Leben mitbringt, inkarniert. Durch seine Familie, sein soziales Umfeld und andere Ereignisse wird sein Schicksal mitgestaltet. Das wichtigste Anliegen der Waldorfpädagogik liegt darin, Kinder auf ihrem individuellen Weg zu begleiten und sie ihrer Entwicklung zu unterstützen. Ziel ist eine vom Menschen in Freiheit und Verantwortlichkeit ergriffene Lebensgestaltung des einzelnen. Achtung und Respekt vor der Einzigartigkeit des einzelnen Menschen sollen den Umgang miteinander prägen.

In den ersten sieben Jahren ist das Kind noch ganz damit beschäftigt, die Welt und sich selbst kennenzulernen. Es ist die Phase des größten körperlichen Wachstums. Eine umfassende Bewegungsentwicklung (krabbeln, laufen, balancieren, klettern...) bildet die Grundlage für das Erlernen der Sprache und eines beweglichen Denkvermögens. Bewegung bedeutet handeln, und so konzentrieren sich unsere Bemühungen darauf, dass sich das Kind durch vielfältige, sinnvolle, praktische Tätigkeiten (wie z.B. backen und kneten, waschen und weben...) freudig seine Fähigkeiten entwickeln kann. Wir unterstützen die Entwicklung der Kinder, indem wir in der Waldorfpädagogik ein Halt und Geborgenheit gebendes Umfeld gestalten und auf bestimmte Dinge großen Wert legen, die im folgenden in Kürze genannt werden.

Vorbild und Nachahmung

Die wunderbare Fähigkeit des kleinen Kindes, über die Nachahmung zu lernen, sich z. B. die Sprache und das Laufen zu anzueignen, zeigt, wie wichtig die konstante und zuverlässige Beziehung zum erwachsenen Menschen für die Entwicklung des Kindes ist.

Ohne das "Vorbilden" des Erwachsenen kann das Kind die Welt nicht ergreifen. Die Nachahmung im Kleinkindalter erfolgt über die Wahrnehmung mit allen Sinnen und ihre unmittelbare Umsetzung durch den Willen in Körperaktivität. Dazu benötigt das Kind keine intellektuellen Erklärungen, sondern Menschen, die sich in seiner Umgebung sinnvoll betätigen und auf ihr eigenes Handeln achten, die mit freudiger Grundhaltung bei der Arbeit sind. Die Selbsterziehung des Erwachsenen ist eine wichtige Voraussetzung für die Erziehung des Kindes, denn das Kind ahmt nicht nur die äußerlichen Tätigkeiten nach, sondern auch die innere Haltung des Erwachsenen. Achtung und Respekt und liebevolle Hinwendung sollen den Umgang mit Menschen, Tier, Pflanze und den Dingen prägen.

Es gibt kein festgelegtes "Programm" in der Waldorfpädagogik, sondern jeder Pädagoge ist aufgefordert, aus eigener Verantwortung die Erziehung der Kinder zu gestalten..

Rhythmus und Wiederholung

Alles Lebendige ist in einen Rhythmus eingebunden: Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Anstrengung und Ruhe, die Natur lebt in den Jahreszeiten ihren Rhythmus, in den Mensch, Pflanze und Tier eingebunden sind. Wenn wir den gesunden Rhythmus nicht beachten, spüren wir das sehr schnell: Schlafmangel z.B. und unrhythmische Essenszeiten stören unser Wohlbefinden und damit die gesunde Entwicklung.

Eine rhythmische Tagesgestaltung bedeutet für das Kind Zuverlässigkeit und Orientierung auch im Zeitablauf. Es stärkt sein Vertrauen in die Ordnung der Welt. So ist der Kindergartentag so gestaltet, dass sich aktive, lebendige Phasen mit ruhigen in gesunder Weise abwechseln. Auch innerhalb der Woche bilden wiederkehrende Tätigkeiten an bestimmten Tagen, wie z.B. das Wasserfarben malen, die Eurythmie, der Waldtag einen Rhythmus. Durch das Feiern der christlichen Jahresfeste gliedert sich das ganze Jahr in wiedererkennbare Erlebnisse, die der natürlichen Religiosität des Kindes Nahrung geben. Besondere Lieder, Tänze, Schmuck und Essen geben jedem Fest seinen speziellen Charakter und bilden einen wertvollen Schatz in der Seele der Kinder.

Sinnespflege

Rudolf Steiner nennt in seiner Menschenkunde 12 Sinne, durch die der Mensch sich in die Welt stellt, sie wahrnimmt und ihr begegnet.

Ihre Pflege und Ausbildung ist für die Entwicklung des Kindes sehr wichtig. So wird z. B. über das Naturspielzeug besonders der Tastsinn angesprochen, beim Klettern der Eigenbewegungs- und Gleichgewichtssinn, über das Erzählen von Märchen der Wortsinn, der Gedankensinn und der Ichsinn.

Das freie Spiel

Das Spiel der Kinder ist in seiner vielfältigen Art eine wichtige und ernste Angelegenheit und in seiner Bedeutung der Arbeit des Erwachsenen gleichzusetzen.

Die Individualität und Persönlichkeit des Kindes offenbaren sich am deutlichsten im freien Spiel. Deshalb soll das Spielmaterial viel Raum für eigene Phantasie und Gestaltungsmöglichkeiten geben. Je einfacher das Spielzeug ist, umso vielfältiger lässt es sich verwenden: das Tuch wird zur Decke, zum Umhang, zum Dach, zum See ...

Im freien Spiel erübt das Kind den Umgang mit seinen Mitspielern, erlebt Grenzen und lernt, selber Grenzen zu setzen. Unterstützend wirkt ein Raum, der Klarheit, Ordnung und ein wohliges Geborgenheitsgefühl ausstrahlt. Besonders anregend ist die natürliche Umgebung: Äste und Zapfen, Moos und Gräser, Blumen und Blätter lassen sich wunderbar verwandeln.

Bezug zur Natur

Der Mensch steht in enger Verbindung zur Natur, wir sind ein Teil von ihr.

Die Kinder leben sich durch jahreszeitliche Tätigkeiten, die Gestaltung des Jahreszeitentisches und die verschiedenen Themen in den Märchen und Reigen in die Qualitäten der Jahreszeiten ein. Wir feiern das Erwachen des Frühlings, den Sommeranfang, die Erntezeit. Die Kinder sind täglich draußen, spielen im Park oder machen einen Spaziergang am Wald entlang.

Eine Besonderheit bieten die Waldtage, an denen jede Gruppe einmal in der Woche für einen ganzen Tag in den Wald wandert, dort Hütten baut, tiefe Schluchten erklimmt und kleine Natur- und Tiergeheimnisse entdeckt. Jeder Wandertag beinhaltet ein neues Abenteuer und lässt unsere Kinder an Erfahrung reicher werden.

Künstlerische Aktivitäten

Im Zeichnen lässt uns das Kind Einblick gewinnen in seinen Entwicklungsstand, es hinterlässt "Spuren". Beim Aquarellmalen vertieft sich das Kind in das Farbgeschehen durch die Nass-in-Nass-Technik, die Farben begegnen sich, es entstehen Farbklänge, die Konturen verlaufen.

Das musikalische Element gehört zum Alltag des Waldorfkindergartens. Das Singen begleitet die Kinder durch den Tag, es weitet die Seele. Die zart tönenden Instrumente wie die Kinderharfe oder das Klangspiel fördern beim Kind das Zuhören, das Lauschen.

Die Eurythmie ist eine von Rudolf Steiner entwickelte Bewegungskunst. Sie ist "sichtbar gemachte Sprache". Die geführten Bewegungen wirken harmonisierend auf die Entwicklung der Kinder. Der täglich stattfindende Reigen lässt das Kind in Liedern und Reimen in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen und erfolgt ganz aus der Nachahmung: es wird zum leichten Schmetterling, es wird Prinz, Ritter oder Zwerg. Hier lebt das Element des Schauspiels, auch wenn das Kind die Rollen ganz unbewusst ergreift. Im plastischen Gestalten mit Bienenwachs, Ton, Lehm, Erde kommt das Kind in den lebendigen Gestaltungsvorgang. Dabei ist nicht das "Ergebnis", sondern die Identifikation, die Begegnung und Erfahrung mit dem Material für das Kind von Bedeutung.

Das täglich stattfindende Erzählen von Märchen und rhythmischen Geschichten bedeutet für das Kind eine kontinuierliche Sprachpflege. Durch die Wiederholung der Erzählung über längere Zeit erweitert das Kind seinen Wortschatz, festigt seine grammatikalischen Kenntnisse und übt Zuhören. Puppenspiele erweitern den künstlerischen Gestaltungsrahmen.

Medienerziehung

Das Kind ist auf der Suche nach dem wirklichen Wesen der Welt und braucht, um sie zu erfassen, umfassende Sinneseindrücke. Elektronische audio-visuelle Medien (wie Fernsehen) vermitteln nur einseitige Sinnesreize und die Komplexität des Gesamtvorganges wird auf die informelle Ebene reduziert. Für die Sinne gibt es hier keine "Nahrung": das Auge schaut starr geradeaus, das Gehirn produziert die für den Schlaf kennzeichnenden Alpha-Wellen, das "Bewegungswesen" Kind sitzt gebannt und fasziniert, d.h. nicht eigen-aktiv, davor.

Der sinnvolle Umgang mit Medien ist sicher ein Erziehungsziel, doch schafft das Kind sich in diesen ersten sieben Jahren erst die physiologischen Grundlagen und braucht dafür die konkrete Begegnung mit der Welt. Der Umgang mit Medien ist erst im späteren Schulalter angebracht.

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