Ja, kommen Sie nur herein ...

Um 7.15 Uhr öffnet der Kindergarten seine Türen für die 75 Kinder, die im Laufe des Morgens sich in die drei Gruppen verteilen: die Rumpelstilzchen-, Sterntaler- und Regenbogenkinder. Wollen Sie mir helfen, den Brötchenteig zuzubereiten? Oder lieber beim Korbflechten an der Werkbank mithelfen? Es gäbe auch noch eine Schürze zu flicken, die gestern beim Schnitzen ein Loch bekommen hat...jeden Tag gibt es Sinnvolles zu tun.

In der Garderobe hören wir schon die "Frühaufsteher", der erste stürmt herein, begibt sich nach der Begrüßung gleich in seine gegenwärtige Lieblingsspielecke und beginnt, eine große Burg zu bauen. Er erwartet seine Freunde und kalkuliert schon den Platz für sie mit in seine Planung ein. Der nächste kommt langsam in den Raum, schaut sich um und kommt interessiert zu unserem Backtisch. "Ah, Backtag heute, ich will mitmachen!" Er eilt in den Waschraum, um sich die Hände zu waschen und holt sich eine Schürze; die Gewohnheiten helfen, den Alltag zu meistern. Immer wieder öffnet sich die Tür, die Eltern grüßen kurz von dort, manchmal ist noch eine Mitteilung nötig: "Mein Kind hat viel gehustet heute nacht und schlecht geschlafen..." Jedes einzelne Kind hat seine eigene Art, den Raum zu betreten...

Bald, so gegen 8.30 Uhr ...

... sind fast alle Kinder angekommen. Der Raum, der heute morgen noch friedlich und wohlgeordnet in der Morgensonne lag, verwandelt sich zusehends durch die Aktivitäten der Kinder: am Backtisch werden schon die ersten phantasievollen Schnecken, Brezel, Brötchen geformt, während das erste fertige Blech schon in den Ofen kommt. Der Frühstückstee ist schon zubereitet, das Geschirr wird schon bereitgestellt für das spätere gemeinsame Frühstück. Noch immer drehen einige Kinder unermüdlich die Kornmühle: "Mehl für's nächste Mal".

Dabei gibt es immer wieder notwendige Auseinandersetzungen: wer ist als nächster dran, wie lange darf jeder malen, wer war noch gar nicht an der Reihe, ...Die Kinder üben sich in unzähligen Situationen in der Organisation des Miteinanders. Einige Kinder, vor allem die "älteren" arbeiten ausdauernd an ihren "Schatzkisten", die sie aus Korbflechtmaterial herstellen, jüngere gesellen sich dazu, versuchen ihre Fähigkeiten, sind oft auch schnell wieder im Spiel mit Freunden.

Der Raum ist erfüllt von Kinderstimmen, immer wieder erklingt auch ein Lied: da, wo gearbeitet wird, da wo ein Puppenspiel oder Theaterspiel aufgeführt wird. Die Kinder gestalten ihre "Freispielzeit" ganz aus ihrem eigenen Willensimpuls und ihrer Phantasie. Die Tätigkeiten der Erwachsenen werden zur Anregung für die Spielgestaltung.

Langsam duften die frisch gebackenen Brötchen durch den ganzen Raum, fast kein Spielzeug, kein Stuhl oder Tisch steht mehr an seinem ursprünglichen Platz. Sie sind "verwandelt" worden: sie wurden umgebaut zu einem großen Schiff, viele Stühle wurden für die Theatervorstellung gebraucht, die Tücher waren nötig für den Hausbau, aus den Bändern wurde eine Telefonleitung zur Backstube gebaut, damit Mehl nachgeliefert werden kann...

Sie haben jetzt Hunger, würden gerne frühstücken?

Gerne, es ist ja auch schon fast 10 Uhr. Wir räumen nur eben noch auf... Mit einem Lied, dass immer um diese Zeit und zu dieser Gelegenheit erklingt, räumen wir uns eine "Sitzecke" frei, an der wir uns versammeln können, langsam Abschied nehmen vom Morgenspiel und uns mit einem Apfelstück stärken. Die Kinder, die nicht da sind, weil sie vielleicht krank sind oder in Ferien, werden genannt und erst so ist unsere Gruppe vollständig. Ob wir jetzt Herr werden über das "kreative Chaos"? Die älteren Kinder kennen sich gut aus, sie übernehmen verantwortungsvoll ihre Aufgaben, decken den Tisch, ordnen die Steine, Kerne, Kastanien, Hölzer im Kaufladen, falten die farbigen Spieltücher, bringen die Puppenkinder mit einem Schlaflied zur Ruhe. Die jüngeren Kinder helfen mit, so gut sie können, eines sitzt gedankenverloren mittendrin... In kurzer Zeit ist doch alles wieder an seinem gewohnten Platz, weil den Kindern die Ordnung vertraut ist. Zum Abschluss folgt das Händewaschen und wir treffen uns in einer Runde wieder zusammen. Es wird viel erzählt, jeder etwas anderes, es ist recht laut.

Ein Lied oder ein rhythmisches Klatsch- oder Fingerspiel fasst unsere Aufmerksamkeit zusammen und wir können etwas gemeinsam gestalten. Es wird ruhiger, eine Wohltat für uns und die Kinder nach dem geschäftigen, manchmal lautstarken Morgengeschehen. "Das Öltröpfchen!" verlangt ein Kind, und jedes wird mit einem rhythmischen Spruch mit einem wohlduftenden Öl in seine Handinnenflächen beschenkt. Lieder sind unsere ständigen Begleiter, wir singen zusammen und sprechen Reime und Gedichte, und weil Sprache und Bewegung so eng zusammengehören, machen dazu auch die entsprechenden Gesten. Die Kinder erleben so in diesem "Reigen" die jahreszeitliche Stimmung, sie erfahren die Qualitäten in der Raumbewegung: groß wie ein Riese, klein wie ein Zwerg, langsam wie eine Schnecke, flink wie eine Maus, dicht gedrängt in der Mitte im "Vogelnest", weit ausbreitend als freier Vogel oder stürmisches Pferd, tänzelnd wie ein Schmetterling, stampfend wie ein Elefant... Ja, morgen machen wir das noch einmal...!

Der liebevoll gedeckte Frühstückstisch steht bereit. Erst, wenn alle Kinder gut versorgt sind, wird die Kerze angezündet und der Tischspruch gesprochen. Gemeinsam beginnen wir in Ruhe, die frischen Brötchen zu genießen...Jeder Tag hat eine bestimmte Mahlzeit: es gibt Reisbrei, selbstgebackenes Brot, Müsli im Sommer und Suppe im Winter; ja, es gibt sogar "Wunschessen-Tage", an denen sich die Vorschulkinder kurz vor ihrem Abschied ihr Lieblingsessen wünschen und kochen...

Wenn das Frühstück zu Ende geht,

... verlangen die Kinder deutlich wieder nach Bewegung. Wir beenden mit einem Dankesspruch das gemeinsame Frühstück, und während ein Teil der Gruppe noch den Tisch abräumt, ziehen sich die anderen an...

... jede Hand wird jetzt gebraucht, wenn 25 Kinder "ausgehfertig" sein sollen: hier geht der Reißverschluss nicht zu, dort ist die Regenhose verdreht, da ist ein Stiefel nicht an seinem Platz, die Knöpfe gehen noch nicht zu, die Mütze muss noch zugebunden werden,...viele Gelegenheiten, sich gegenseitig zu helfen: die Älteren den Jüngeren, die Geschickteren den Übenden.

Freudig stürmen die Kinder nach draußen

Wenn die Freispielzeit auf dem Hof verbracht wird, wird der "Schuppen" aufgeschlossen und Sandspielzeug, Bollerwagen, Stelzen, Reifen, Bälle können zum Spielen ausgewählt werden. An manchen Tagen gehen wir in unseren Garten, um z. B. Beete zu jäten, Kartoffeln zu pflanzen, die Johannisbeeren zu pflücken, Schnecken zu sammeln. Gerne sind wir auch in dem wundervollen Park, dessen geschwungene Wiesen uns zum Kullern verleiten, in dem wir Blumen und verschiedenartigste Blätter sammeln können, der uns im Herbst reich mit Kastanien und Eicheln beschenkt, der uns im Hochsommer unter seinen riesigen Blätterdächern Schatten spendet und im Winter zum Schlitten fahren einlädt. Einmal in der Woche haben wir unsere Rucksäcke dabei und wandern durch den Wald. Nagik, das Eichhörnchen begleitet uns und erkundet mit uns die Geheimnisse der Natur...

Mittlerweile ist es fast 12.30 Uhr.
Einige Kinder werden langsam müde, wir gestalten den gemeinsamen Abschluss im Gruppenraum. Die geschlossenen Vorhänge tauchen den Raum in gedämpftes, farbiges Licht. Jedes Kind findet seinen Platz und kann jetzt eintauchen in die wunderbare Welt der Märchen. Wir hören, von feinen Klängen der Kinderharfe begleitet, von den Abenteuern des Königssohnes, vom verwunschenen Frosch. Der Schein der Märchenkerze verzaubert den Raum und lässt Raum für die Phantasie...

Das Lied vom Schutzengel verabschiedet uns für diesen Tag

Um 12.45 Uhr werden die ersten Kinder abgeholt. Die Kinder, die zum Mittagessen angemeldet sind, treffen sich im Essensraum, um in Ruhe das vegetarische, biologisch vollwertige Essen zu genießen. Danach helfen sie noch beim Tisch abräumen ... und so langsam klingt der Kindergartentag aus...vielleicht ist noch Zeit, ein Bild zu malen, ein Buch anzuschauen, ein wenig im Sandkasten zu sein, ... bis alle Kinder bis 14.15 Uhr abgeholt sind.

Der Raum leert sich langsam.
Was haben wir heute alles erlebt? Die Bilder ziehen an uns vorüber ... ein kleines Mädchen hat heute nach tagelangem Bemühen zum ersten Mal Stelzen laufen können, ein anderes hat heute seine Schuhe alleine zumachen können, Streit und ständige Auseinandersetzungen haben heute den Tag eines anderen Kindes geprägt, eines war heute viel stiller als sonst ...

Morgen begrüßen wir wieder einen neuen Tag ...

OBEN